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Weil Gott nicht wegschauen kann...Christusdorn von Sabine Wegner

Sonntag, 20. März 2022, 04:13 Uhr
„Verflucht sei der Acker um deinetwillen ... Dornen und Disteln soll er dir tragen!“ (1.Mo.3, 17.18) Der Rauswurf aus dem Paradies – eine bleibende Wahrnehmung, auch nach Ostern. Mühsal und Zerfall, - die Welt scheint unerlöst. Seuchen- und Kriegsdornen rücken uns zu Leibe. Ökosysteme gehen den Bach runter. Die Bilder, die uns so nah aus der Ukraine von den Opfern und Trümmerbergen erreichen, sind unerträglich. Ich erwische mich beim Wegsehen. In Liebenrode hängt ein großer Engel an der Altarwand der Kirche, der in der Passionszeit seine Flügel schließt.

Erst den Einen über seinen Leib und dann, Karfreitag, den Anderen vor sein Angesicht. Es ist, als ob er vor all der Grausamkeit, vor Kreuz und Dornen, die Augen beschämt schließt.

Der Engel erinnert an die Passions- und Hungertücher, die in den Fastenzeiten die bildlichen Darstellungen, wie das Kreuz, verhüllen. Und diese wiederum haben ihren Ursprung im jüdischen inneren Tempelvorhang, welcher in den Farben des Weltalls die Schnittstelle zwischen göttlicher und menschlicher Welt anzeigte. Nur einmal im Jahr, am Versöhnungstag durfte der Hohepriester das Allerheiligste betreten.
Gerade in diesen Tagen „nagen wir verzweifelt am Hungertuch“, denn einmal mehr, scheint Gott fern zu sein. Aber als Jesus starb, soll der Tempelvorhang von oben nach unten in zwei Stücke zerrissen worden sein.(Mth.27,51) Die römischen Soldaten nahmen unwissentlich ein Objekt des Fluchs, die Dornen vom Acker, und verwandelten sie zu einer Krone für Jesus, der uns vom Fluch der Sünde erlösen sollte. Ein neues Bündnis, ein neuer Zugang, eine neue Tür, kein Vorhang mehr. Es ist meine Hoffnung und mein Trost, dass Gott nichts übersieht, dass er gar nicht anders kann, als unverhüllt hinzuschauen, auf das verzweifelte Kind im Bombenkeller, den Greis, der Mühe hat, mit dem Flüchtlingsstrom mitzuhalten, den an oder mit Corona Sterbenden, ...den Despoten, der sich in seine eigene Falle manövriert. Weil Gott nicht wegschauen kann, traue auch ich mich, aufzublicken. Es gibt noch zu viele Dornen, aber Jesus hat sie für uns getragen. Die große Aussicht der Passion ist, - sie mündet in Ostern.In der Osternacht wird der Engel seine Flügel öffnen.
Sabine Wegner, Pfarrerin in Liebenrode
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