Meldung

Anfang und Ende

Freitag, 24. April 2020, 19:32 Uhr
Der Anfang vom Ende
Jetzt beginnt es, dass die restriktiven Maßnahmen gegen weitere Corona-Ausbreitung in der Gesellschaft in Frage gestellt werden. Vor allem unter dem Gesichtspunkt der Beschneidung der Religionsfreiheit. Das ist verständlich. Es ist gut, wenn die Kirche hier anfängt deutlich zu mahnen. Wenn es aber nur tatsächlich darum ginge! Und nicht anderes gemeint sei: Nämlich die ersehnte Rückkehr in die ökonomische Normalität. Die Begrenzungen und das Zurückfahren der Wirtschaft ist ein gefährliches und kompliziertes Ding. Allzu lange hat die (west-)deutsche Gesellschaft einer strengen Ideologie gefrönt: Demokratie und Freiheit gehe nur zusammen mit einer stabilen Konjunktur- und Überflussgesellschaft. Die Klimadiskussion der letzten zwei Jahre hat gezeigt, dass die westliche Gesellschaft zwar zum Palaver fähig ist, aber kaum zu einer organisierten und reflektierten Veränderung. Schon vor 30 Jahren, als die deutsche Einheit anstand, war versprochenes Regierungsprogramm der ökologische Umbau. Dazu kam es nie. – Nun aber geschieht in der Gesellschaft anderes. Es kommt eine Störung von außen, an die die Wenigsten gedacht hatten. Störungen durch Terrorismus hat man wohl im Geiste durchgespielt. Nicht aber durch schwere Epidemien. Nun kommt man nicht umhin, folgende Prämissen zu erörtern, die in Deutschland manchmal geradezu den Charakter von Kultgötzen haben und heiligste Verehrung heischen. Unsere Gesellschaft ist ein hochkompliziertes Geflecht, bestehend aus Bausteinen, deren Fehlen oder Fehlfunktion eine sogenannte Dominosteinreaktion auslösen könnte. Deshalb sollte sie im gleichen Tempo und in gleicher Qualität immer weiterlaufen. Das ist eine systemerhaltende Vorstellung und Forderung. Mit hoher Sensibilität schauen dann alle auf vor allem wirtschaftliche Validität. Bricht etwas weg, bricht möglicherweise sofort der Staudamm und alles geht den Bach runter. Die demokratische Verfasstheit der Gesellschaft ist dann schnell paralysiert … - Ein Traumbild des Schreckens.
Die Corona-Krise bringt nun eine Störung, an die keiner gedacht hat. (Oder die Wenigsten.) Was wäre nun - und so muss man fragen, um zum Kern der Problematik zu kommen - , wenn die die Gesellschaft, der Staat und die Politik einen dynamischen Umgang mit der Krise scheute, eine Zurückfahren von Wirtschaft, Kultur und menschlicher Begegnung (im wahrsten Sinne des Wortes) „auf Teufel komm raus“ verweigern würde? Und dies aus einer unbezwingbaren Angst heraus vor einem – wie oben beschrieben – Umkippen der Gesellschaft? Sie wäre keine freie Gesellschaft, keine demokratische Gesellschaft mehr. Sie wäre eine Angstgesellschaft, die in panischer Furcht vor einer Krise, vor einer ungeplanten Störung in die Knie ginge. Sie müsste auf Kosten der Alten, Kranken und Schwachen ökonomische Stärke spielen, alle zivilisatorischen Netzwerke aufrechterhalten – und dann doch langsam zu Grunde gehen. Das ist der Kern der Problematik.
Wenn jedoch die Gesellschaft zeigt, dass sie mit sich selber dynamisch umgehen will und kann, die Wirtschaft und Begegnungen reduzieren kann, wo es nötig ist, geht sie krisenerprobt und gestärkt aus der Gefahr hervor. Dann weiß sie, dass sie sich einer Prüfung stellen kann! Und dann weiß sie auch: Sie kann eigentlich noch mehr. Sie kann eine wahrhaft solidarische Gesellschaft sein und sich auch den ökologischen Zukunftsaufgaben stellen. Der Sieg über die Corona-Krise ist zugleich auch ein Sieg über die falsche Ideologie der Herrenmenschengesellschaft, die sich außer Verbrauch, Konjunktur, Wachstum und Überfluss nichts anderes mehr vorzustellen vermag. Die sogenannte „freie“ Gesellschaft muß sich vergegenwärtigen, dass sie eigentlich keine wirklich freie Gesellschaft ist, sondern eine Gesellschaft auf Probe. Sie ist eine Gesellschaft von Sklaven der Gefährdung und Angst. Und das so lange bis sie erkennt, dass sie nicht starr zu sein braucht.
In diesem Sinn kann auch die Kirche sehr gut verkraften, dass ihre Regeldienste der Verkündigung mal für eine kleine Weile anders, reduzierter, stiller, entschleunigter usw. laufen sollten. – Wie ging doch der schöne Witz, den ich in den letzten Tagen irgendwo gelesen habe (?): „So, sprach der Teufel mit bösem Lächeln zum Lieben Gott: Mit Corona habe ich deine Kirche zerstört! Ach, sprach der Liebe Gott, die baue ich doch täglich immer wieder neu. Und in diesen Zeiten in jeder kleinen Familiengruppe.“
Dr. Bodo Seidel
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